MEDIZINGESCHICHTE: Wie im Nationalsozialismus gute Konzepte der Prävention zerstört wurden

Dr. med. Raimund von Helden, Verbraucherberatung Privat-Institut VitaminDelta, 57368 Lennestadt referiert aus dem Beitrag von Wolfgang Kirchhoff (Autor): "Beispiele sozialmedizinischer Entwicklungstendenzen ..." erschienen im Sammelband: "25 Jahre "Medizin und Judentum: Rückblicke – Resultate - Reflexionen" von Caris-Petra Heidel (Herausgeber)

2023-10-04

1) Fragestellung

Gibt es in Deutschland ein historisches Beispiel dafür, dass wirkungsvolle Konzepte zur Prävention von Krankheiten bewusst zerstört wurden?

2) Methode

Referat von Teilen des Beitrags von Dr. Wolfgang Kirchhoff, Marburg

3) Ergebnisse

Nachdem die Kariesmorbidität als schichtenspezifisch auftretende Erkrankungsform erstmals nachgewiesen werden konnte, wurde in der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Anstellung von Schulzahnärzten im Rahmen staatlicher Schulzahnpflege gefordert. Ernst Jessen (1859–1933) führte 1885 in der Straßburger Universität kostenlose Behandlungen von Volksschülern durch. Die Entwicklung der sozialen Zahnheilkunde in Deutschland ist eng mit Zahnärzten jüdischer Abstammung verbunden, besonders im Bereich der Prävention und Frühbehandlung bei Kindern und Jugendlichen. Grundsätzlich muss bei diesen Protagonisten die sozialethische Verpflichtung zur Herstellung gesellschaftlicher Chancengleichheit für eine rechtsverbindliche Gesundheitsversorgung der Bevölkerung angenommen werden. 

Alfred Cohn (1881–1970) veröffentlichte 1922 einen Leitfaden zum Studium der sozialen Zahnheilkunde. 1929 gab es viele Schulzahnpflegestätten und Schulzahnkliniken in Deutschland. Über 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen wurden von der Schulzahnpflege erfasst. Alfred Kantorowicz arbeitete effektiv mit dem kostenlosen „Bonner System“ in einer Schulzahnklinik in Bonn. Er publizierte über soziale und organisatorische Gesichtspunkte der Sanierung der Schuljugend. Er erreichte hohe Sanierungsraten mit Schulzahnärzten. 

Da die Gesundheitsversorgung eine ökonomische Basis benötigt, gab es Verteilungskämpfe. Die Zahnarztpraxen wurden als Konkurrenz betrachtet. 1933 verschleppten die Nazis Alfred Kantorowicz in ein Konzentrationslager wegen seiner politischen und jüdischen Herkunft. Er konnte jedoch in die Türkei fliehen. In Nazi-Deutschland wurde die soziale Zahnheilkunde vernachlässigt.

Nach dem Krieg, in der BRD, gab es keine größeren Veränderungen im System der Schulzahnpflege. Die Gesundheitsämter, beeinflusst durch nationalsozialistisches Gedankengut, blieben in ihren alten Strukturen. In den Schulen wurde die Zahngesundheit der Schüler statistisch erfasst, aber es gab oft keine therapeutischen Konsequenzen.

Die Überschaubarkeit der zahnmedizinischen Krankheitsbilder ermöglicht es, die Versorgungsdefizite statistisch leichter zu erfassen als in anderen medizinischen Bereichen. Trotzdem blieben viele zahnmedizinische Probleme unbehandelt, wie eine Studie der WHO 1973 zeigte, in der westdeutsche 14-Jährige im internationalen Vergleich den höchsten Anteil unbehandelter kariöser Zähne hatten.
 

4) Folgerungen

  • Der Nationalsozialismus zerstörte mit dem Judentum auch die von jüdischen Ärzten aufgebaute Prävention gegen Karies bei Schülern.
  • Eine kommerziell orientierte Zahnärzteschaft hatte an diesen präventiven Konzepten kein Interesse.
  • In der Nachkriegszeit der BRD hatte der Schulzahnarzt im Unterschied zur Weimarer Republik keine therapeutischen Kompetenzen mehr.
  • Die gut belegte These: Die schlechten Zähne bei der Jugend der Nachkriegszeit steht in historischer Beziehung zum Holocaust.

Quellenangaben

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