Schaukelpolitik für Senioren: Vitamin D Hochdosis und Sturzneigung


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Kritik am Vitamin D: "erhöhte Sturzneigung bei Senioren" - gibt die Studie das wirklich her?


An vielen Stellen wird die "Ferrari"- Studie als das "Ende des Vitamin-D-Hype" vorgestellt. Die erstrangige Autorin ist Frau Bischoff-Ferrari aus der Schweiz.

Bischoff - Ferrari HA, Dawson-Hughes B, Orav EJ, Staehelin HB, Meyer OW, Theiler
R, Dick W, Willett WC, Egli A. 

Monthly High-Dose Vitamin D Treatment for the Prevention of Functional Decline: A Randomized Clinical Trial. 
JAMA Intern Med.

2016 Feb 1;176(2):175-83. doi: 10.1001/jamainternmed.2015.7148. PubMed PMID:
26747333.

Ich sage es gleich:

Diese Studie enthält keineswegs die Aussage, dass die Einnahme von Vitamin D als "Hochdosis" zu mehr Stürzen führt.
Eine Auswertung der in Tabelle 3 der Studie präsentierten Daten zeigt sogar, dass hohe Vitamin-D-Spiegel mit einem verminderten Sturz-Risiko einhergehen.

Das Problem der Studie ist (leider) ein falsches Konzept - es beginnt mit dem ersten Wort des Titels dieser Studie : "monthly" = monatlich 

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BILD-INFORMATION:

  • Die fallenden Linien des Sturz-Risikos zeigen, dass es in der Zeit der hohen Vitamin-D-Spiegel (Monate 7 - 12) weniger Stürze gab, als in der Anlaufphase 0 bis 6 Monate. Die Daten sind der Original-Studie entnommen (siehe Table 3 der Studie).
  • Die Studie zeigt daher, dass hohe Vitamin-D-Spiegel besser gegen Stürze helfen als solche, die noch im Aufbau befindlich sind und unter 30 und unter 20 liegen.
  • Patienten mit Vitamin-D-Spiegel von weniger als 20 ng/ml zu Beginn profitieren (logischerweise) stärker. Nicht so ausgeprägt sind (logischerweise) die fallenden Linien im Bereich der Patienten, die bereits am Start der Studie über 20 ng/ml lagen (rechtes Diagramm).
  • Alle 4 Gruppen verbesserten ihre Sturzneigung im Verlauf der Studie unter Vitamin D.

 

SCHWEIZER STUDIE
Wir diskutieren hier über diese Studie: PMID: 26747333 - jeder kann sie dort finden. Die Studie betrachtet Menschen, die älter sind als 70 Jahre. Alle Aussagen müssen also auf Menschen reduziert werden, die dieses Alter haben. Junge Menschen sind also hier gar nicht gemeint.

WIE WURDE DOSIERT?
Man hält es zunächst nicht für möglich, welch unsinnige Dosis hier angewendet wurde. Wörtliches Zitat aus der Studie: "The second group received 60 000 IU of vitamin D3 (60 000 IU group) (one 5-mL drink solution containing 60 000 IU of vitamin D3 once per month..." Unglaublich: Nur EIN EINZIGES MAL IM MONAT (!) bekamen die 76 Probanden der Gruppe 60'000 IE Vitamin D während  die Vergleichsgruppe nur 24'000 IE bekamen. Damit werden alle Probanden einer ACHTERBAHNFAHRT des Vitamin-D-Spiegels ausgesetzt, die völlig sinnfrei ist. 

WANN WURDE BLUT ENTNOMMEN?
Auch die Blutentnahmen lassen jegliches Timing vermissen. Wörtlich: "Fasting blood (...) were obtained ... (baseline, 2 weeks, 6 months, and 12 months)." Es ist also möglich, dass die Blutentnahmen teilweise direkt am Tag nach der Einnahme erfolgten, teilweise davor, was zu unterschiedlichen Ergebnissen im Serum führt.

WAS LÄSST SICH ÜBER DAS STURZRISIKO SAGEN?
In Tabelle 2 der Studie werden Signifikanzen ausgewiesen. Diese sind im Bezug auf die Aussage von einer "erhöhten Sturzneigung bei über 70-jährigen" jämmerlich schwach. Im Bezug auf die ZAHL DER STÜRZE ergibt sich auch in den unterschiedlichen 3 Zeiträumen der Betrachtung keine einzige Signifikanz (P bleibt über 0,09). Somit ist erwiesen: KEIN (!) gesteigertes STURZRISIKO in drei verschiedenen Zeiträumen.

WAS LÄSST SICH ÜBER DIE GESTÜRZTEN SAGEN?
Eine zweite Statistik beschäftigt sich nicht mit der Zahl der STÜRZE, sondern mit der Zahl der gestürzten PERSONEN. Bei dieser Betrachtung gestürzter Senioren findet sich ebenfalls ein unbrauchbares Ergebnis. Während einerseits im Zeitraum  0 - 6 Monate und 7 - 12 Monate KEIN signifikantes Risiko zu erkennen ist, wird andererseits für den kompletten Zeitraum von 0 - 12 Monaten eine MINIMALE Signifikanz ausgewiesen (P 0,048). Hier hat man mit Ach und Krach die Grenze von 0,05 unterschritten. Zuvor musste jedoch dieser Kunstgriff der Statistik angewendet werden (Tabelle 2 - Index b). Wörtlich: "P values are from a 3-group comparison using linear regression (number of falls) or logistic regression (number of participants with achieved 25(OH)D levels  30 ng/mL), adjusting for age, sex, and BMI."

WAS LÄSST SICH ÜBER DEN VITAMIN-D-SPIEGEL IM BEZUG AUF DIE STÜRZE SAGEN?
Unglaublich aber wahr: Leider wird nirgends in der 9-seitigen Studie etwas über die Korrelation von Vitamin-D-Spiegel und Stürze gesagt. Hier wünschte man sich ein Streudiagramm (Scatter-Plot) mit einer Darstellung von Vitamin-D-Spiegel  und Sturzrisiko - leider fehlt es! Lediglich erfährt man, dass in der "hochdosierten Gruppe mit 60'000 IE 1 x pro Monat" immerhin 80 % der 67 Behandelten einen Vitamin-D-Spiegel von 30 ng/ml erreichten. Was war mit den übrigen 20 %? Warum erreichten sie nicht die 30 ng/ml? Hier haben wir eine erhebliche Streuung beim Vitamin-D-Spiegel. Wollte man den Vitamin-D-Spiegel für das Hinfallen verantwortlich machen,  hätte man hier ein passende Auswertung wählen müssen: Vitamin-D-Spiegel in Korrelation zu Sturzereignissen.

WIE WAR DER MITTLERE VITAMIN-D-SPIEGEL DER GRUPPEN? 
Im Vergleich zur 60'000-Gruppe erreichten 54% der Gruppe mit 24'000 IE die 30 ng/ml. Die Gruppen unterschieden sich also nur in (80 - 54 )= 26 % der Probanden, die nicht über 30 ng/ml lagen. So kann man keine Studie machen! Es kommt noch krasser: "Figure 2" der Studie zeigt, dass der Mittelwert in der Gruppe mit 24'000 IE von 26 - 38 ng/ml streut, in der Gruppe mit 64'000 IE von 29 bis 47 ng/ml. Mit anderen Worten: die Gruppen sind im Bezug auf die Vitamin-D-Spiegel gar nicht getrennt. Eine Gruppe ohne Vitamin D gibt es nicht. 

FAZIT:
Die Aussage der "erhöhten Sturzneigung bei Senioren" ist nur punktuell in 1/6 (einer einzigen) von 6 Teilgruppen vorhanden. Der statistische Bezug zum hohen Vitamin-D-Spiegel wird nirgends herausgearbeitet. Er ist auch nicht anzunehmen, weil sich die Gruppen zu mindestens 50 % im Vitamin-D-Spiegel  überlappen! Der Vergleich zu unbehandelten Senioren fehlt völlig. Selbst wenn man sich auf dieses minimale Ergebnis (1/6) versteift, dann ist nur diese Aussage zulässig: 24'000 IE 1 x monatlich ist "besser" als 60'000  IE  1 x monatlich. Eine generelle Verurteilung von Vitamin D ist eine böswillige Fehlinterpretation, denn eine Gruppe ganz ohne Vitamin D  gibt es hier definitiv nicht! Die Autorin hat den Nutzen von Vitamin D gegen Stürze bereits in früheren Studien herausgearbeitet, diese Erkenntnis wird nicht widerlegt.

WARUM WAR 60'000 NICHT BESSER?
Mit der einmal monatlichen Einahme werden unsinnige Schwankungen des Vitamin-D-Spiegels inszeniert, die auch die Elektro-Physiologie des Körpers nachteilig beeinflussen. Muskel und Nervensystem brauchen einen  konstant hohen Vitamin-D-Spiegel. Bei einem monatlichen Verlust von bis zu 30% sind Schwankungen von  + / - 55 bis 28 ng/ml zu erwarten. Eine unsinnige Achterbahnfahrt für Senioren. Die wöchentliche Einnahme wäre besser. 

WAS ZEIGT UNS DIESE STUDIE WIRKLICH?
Alle Senioren über 70 sollten auch nach den Daten dieser Studie UNBESORGT Vitamin D wöchentlich oder täglich nehmen, denn diese Studie zeigt selbst in Punkto Stürze für ALLE betrachteten Gruppen einen Vorteil für hohe Vitamin-D-Spiegel:

  • MEHR Stürze in der Zeit 0-6 Monate, als die Vitamin-D-Spiegel noch NIEDRIG waren. 
  • WENIGER Stürze in der Zeit von 7-12 Monaten, als die Vitamin-D-Spiegel (nach langsamen Höherschaukeln) das Niveau von 30 ng/ml und mehr erreichten.

WIE WEITER?
Mit meinem Buch zur Vitamin-D-Therapie habe ich das Konzept von Anfangstherapie und Erhaltungstherapie vorgestellt, das in der genannten Studie leider NICHT angewandt wird. Mein Konzept wird daher in der Studie weder diskutiert, noch widerlegt. 

Diese Aussagen sind hier beim www.VitaminDservice.de unter dem Stichwort "Schaukelpolitik" zu finden.


Auch im Video habe ich diese Studie kritisch besprochen:

https://www.vitamindservice.de/node/879 
ab Minute 13:41 (gesamte Länge 27 Minuten)

Quelle:

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26747333
 


Keywords:

Kritik, Sturzrisiko, Intervention, Fehlinterpretation


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